Veränderungen haben selten etwas Gemütliches. Sie reißen uns aus Routinen, lassen Pläne brüchig werden und wirbeln unsere Gefühle durcheinander. Mit Veränderung kennen wir uns alle aus. Wir haben oft genug erlebt, dass es anders kommt als wir gedacht hatten, wir haben gezittert, gelitten und gefiebert. Wird über Veränderung - oder wie oft gesagt wird: Change - geredet oder geschrieben, begegnen uns leider allzu oft die immer selben plumpen Kalendersprüche: jede Krise sei eine Chance, jede Tür, die sich schließt, öffne eine neue. Nach dem Regen komme der Sonnenschein. Wer jemals klatschnass mitten im Sturm stand, weiß, wie hohl und weltfremd diese Phrasen klingen. Dabei kennen wir die Vorfreude und die Euphorie genauso wie die Unsicherheit und den Sturz ins scheinbar Bodenlose. Wir kennen den Aktivitätsschub, wenn wir anpacken und über uns Hinauswachsen, genauso wie die Schockstarre und die Handlungsunfähigkeit. Schön, dass es zum Themenkomplex so viele Expertinnen und Experten gibt. Schade, dass viele der Checklisten-Heilsversprechen zwar in der Theorie toll klingen und in der Praxis nicht bestehen.
Ich weiß, wie es sich anfühlt, selbst den Schritt zu einem neuen Lebensabschnitt zu treffen - monatelange Gedankenspiele und Vorbereitungen bis es dann zum großen Tag kommt, an dem man seine Entscheidung öffentlich macht. Und ich kenne auch das Gefühl, wenn andere diesen Schritt für einen entscheiden. Meist sind sie in Verbindung mit der Art von Gesprächen, die schon bevor sie vor ihrem Beginn eine beklemmende Atmosphäre haben. Oftmals wird man aus seiner normalen Arbeit mit einem „hast Du mal kurz fünf Minuten? Komm doch mal eben mit“ herausgerissen und trifft dann in einem vorbereiteten Raum auffallend viele Entscheidungsträger:innen. Entscheiden andere über den weiteren Weg, erlebt man in den darauffolgenden Stunden und Tagen ein ständiges Auf und Ab, als ob man auf einem schwankenden Deck über rauer See steht. Man wird mit voller Wucht der emotionalen Turbulenzen zwischen „wie können die nur“ und „zum Glück bin ich da weg“ hin und her geworfen. Bei der selbstgewählten Veränderung möchte man schier platzen vor lauter Vorfreude und ist dann möglicherweise völlig ernüchtert, dass die anderen sich gar nicht so unbändig mitfreuen, wie man selbst. Sie haben ja nicht das teils monatelange und teils leidvolle Abwägen hinter sich und spüren nicht die Erleichterung, das Kribbeln und die Aufbruchstimmung.
In beiden Fällen hat es mir geholfen, den Blick immer wieder nach vorne zu richten - weg von Ärger, Frust und Opferrolle, aber auch weg von dem selbstsicheren Ausruhen auf früheren Lorbeeren und der Überheblichkeit, dass man alles erreichen kann. Okay, ehrlich gesagt, hab ich in beiden Situationen erst im Nachhinein verstanden, dass der Blick noch vorne der einzig sinnvolle Weg ist. Vorher bin ich genauso wie viele andere auch vermutlich jeden Irrweg gegangen, den man in solchen Situationen gehen kann. Naive Höhenflüge gehörten ebenso dazu wie das Gefühl, dass alles vorbei ist. Sicherlich war es jeweils gut, die aufkommenden Emotionen für einen begrenzten Zeitraum bewusst zu spüren, inne zu halten und zunächst einmal zu realisieren, was eigentlich los ist. Erst als ich später wieder in die Handlungsfähigkeit zurückgekehrt bin, konnte ich prüfen, was ich aus meinem bisherigen Verhalten (über mich, mein Verhalten und dessen Folgen) lernen kann und mit dem Blick nach vorne konkrete nächste Schritte gehen.
Aber von vorne: was passiert da genau, wenn unser Leben eine Wendung nimmt?
Anfangs hat man ein Gefühl, als wenn der bisherige Kompass im Leben weg sei oder nicht mehr so wie gewohnt funktioniert. Die eigene Identität verändert sich und stellt existentielle Fragen: Was hat mich bisher eigentlich ausgemacht (innen, außen - in der Rolle, als Mensch?) und was soll mich künftig ausmachen, wofür möchte ich stehen, wer will ich sein? Gedanken, die irgendwo zwischen Kopf und Bauch hin und her schwirren und einem ganze Nächte rauben können.
Die Frage nach dem wie-gehts-weiter verknüpft mit dem was-will-ich-eigentlich? Was will ich ganz konkret im nächsten Schritt, aber auch generell in meinem Leben? Anfangs dominieren Überlegungen, die sich darum drehen, welche Aspekte künftig einen Platz haben sollen und welche Ziele man erreichen will. Was wird neu? Was bleibt bestehen? Und obendrein das permanente Gefühl, wie auf unsicherem Eis zu gehen, das bei jedem vorsichtigen Schritt gefährlich knistert. Primär gilt es zu verstehen, was da eigentlich gerade passiert, wenn es anders kommt im Leben als geplant. Wenn wir einordnen können und Worte dafür finden, nimmt uns das Angst und schafft Handlungskompetenz. Auch wenn man das Gefühl hat, dass alles chaotisch ist, besteht eine erste zarte Struktur.
Auf dieser Basis können wir beginnen, uns zu fokussieren. Wir erkennen, in was wir unsere Kräfte stecken sollten und bei was uns nichts bleibt, außer die Situation anzunehmen - so schwer das auch fallen mag. Der klare Fokus hilft uns, wahrzunehmen, wo (wenn auch kleine) Gestaltungsoptionen sind. Er hilft uns, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, die uns aus der alten in die neue Welt führen. Durch diese Klarheit, wird uns auch bewusst, dass nicht alles so gestaltbar ist, wie wir uns das vielleicht wünschen - und, ja, es bedeutet auch, Entscheidungen zu treffen, die wehtun, die hart sind und uns auch isolieren können.
In dieser Zwischenphase wird unsere Resilienz ein ums andere Mal auf die Probe gestellt: Die ersten Gehversuche wirken unbeholfen, manches misslingt, vieles fühlt sich fremd an. Man wird damit konfrontiert, mit der eigenen Unzulänglichkeit zu leben, denn alte Routinen greifen nicht, neue sind noch nicht stabil. Häufig finden alte Gewohnheiten ihren Weg ausgerechnet dann, wenn man sie am wenigsten brauchen kann. Mit Blick auf die angestrebten Ziele neugierig Erfahrungen machen statt im Gestern verharren, aber auch Räume zur Trauer schaffen und bewusst Abschied nehmen. Die Peinlichkeit des Scheiterns aushalten, die meist von Kommentaren ehemaliger Weggefährten befeuert wird, und sich dabei darüber klar werden, an welchem Anspruch man sich messen will - am eigenen oder dem der anderen?
War man zuvor routiniert, gab es wenig, was einen aus der Ruhe gebracht hat, vielleicht war man sogar ein angesehener Star in seinem Umfeld, misslingen in der neuen Welt einfachste Dinge und ständig muss man wegen Lappalien nachfragen. Voll Unsicherheit und Fremdsein im Neuen gilt es, den ganzen Tag tausende Eindrücke zu verarbeiten. Man will es richtig machen, weiß aber noch gar nicht so genau, wie das in dem neuen Umfeld geht, und abends ist man schlichtweg todmüde. Gleichzeitig ist man ständig mit dem Prüfen beschäftigt, ob man wirklich im richtigen Umfeld ist, ob man wirklich die richtige Entscheidung getroffen hat: Kann man den Menschen hier vertrauen, wird man hier angenommen?
In diesem Spannungsfeld seinen Weg zu finden, ist eine Kunst. Diese Übergangsphase durch- und auszuhalten, ist eine Leistung. Wir können das, wir haben das alle schon oft geübt. Durch Krisen und Zeiten des Wandels kommt man mit dem Tempo eines Kindes, das laufen lernt: tastend, stolpernd, lachend – und immer wieder aufstehend.
Übergänge lassen sich nicht wie ein Projekt mit Roadmaps und Checklisten managen. Aber wir können ihnen mit Neugier und Demut begegnen und dabei Erfahrungen zulassen, die uns prägen. Wer sich darauf einlassen will, hat die Chance, ein Leben zu führen, das nicht glatt, aber reich ist.